Nicole Doth/mirror, mirror on the … throne/Sculpture & Photography

Eine Trias: Handwerk – Design – Kunst
Bei Nicole Doth gehen der künstlerische Werdegang und ihre persönliche Biographie enge Wege. Aufgewachsen ist sie in einer Designerfamilie mit eigener Möbelmanufaktur in Süddeutschland und lernte bereits früh die Familie als Möglichkeitsraum kennen: Hier wurden ihr die Grundbausteine für künstlerisches Denken auf ihren Weg mitgegeben, aber auch das Verständnis von Materialität und Form. Später in ihrer Ausbildung zur Schreinerin und dann zur Möbelschreinermeisterinlernte sie schnell, dass es noch heute für Frauen in handwerklichen Berufen ein steiniger Weg ist, der besondere Beharrlichkeit und Selbstbehauptung erfordert. Bis heute ist das Thema Wahrnehmung ein wesentlicher Kern in ihren Arbeiten. Fragen darüber, wie wir die Welt wahrnehmen und uns darin positionieren, formen ihre künstlerischen Arbeiten.

Es ist aber nicht nur als Frau eine Herausforderung einen handwerklichen Beruf zu ergreifen. Grundsätzlich gilt, dass der Beruf des Schreiners Nachwuchsprobleme hat und immer seltener ergriffen wird, das liegt sicher zum einen an der körperlichen Anstrengung des Berufes, aber auch an immer komplexer werdende Anforderungen.

©Nicole Doth/3hoch2 Functional Art/Bauhaus Stil

Bauhaus – Gender
Mit ihrer Ausrichtung zwischen Kunst und Handwerk, Design und visueller Ästhetik, Formsprache und der Ausreizung von Funktionalität gibt es einige Überschneidungen zwischen Nicole Doths künstlerischer Praxis und dem Bauhaus. Das Bauhaus war eine Möglichkeit, die Vision von Kunst und Handwerk zusammenzuführen. Wer die Geschichte der Schule kennt, weiss aber auch, dass es bereits 1920 einen Richtungswechsel gab, als fast so viele Frauen wie Männer am Bauhaus studierten und Frauen bereits bei der Aufnahme reglementiert wurden aus der Angst des
Gründers Walter Gropius heraus, zu viele Frauen könnten dem Ansehen der Schule schaden. Für die Frauen blieb mit wenigen Ausnahmen die Textilklasse.

Der Exkurs über das Bauhaus ist wichtig, denn die Kunst von Nicole Doth setzt sich mit vielen formästhethischen Gedanken auseinander, hat aber auch feministische Elemente, ohne es zum zentralen Thema zu machen. Man kann nicht über Handwerk sprechen, ohne Geschlechterfragen einzubeziehen, man kann genauso wenig über Innovation sprechen ohne über festgefahrene Strukturen zu reden. In der Kunst wurde lange das Credo zelebriert, die Kunst vom Kunstschaffenden zu trennen, dabei lebt die zeitgenössische Kunst von Kontexten und dem sichtbarmachen von Prozessen. Wie kam es zu einer Entwicklung einer bestimmten Serie? Welche Faktoren führten zu Ideen? Interpretation und das Urteil zu Qualität sind immer nur mit Kontext möglich. Bei Nicole Doth kann die Geschichte nicht ohne die Trias aus Handwerk – Design – Kunst erzählt werden. Konkret wird dies in ihrer Werkserie zu „mirror, mirror on the… throne“ deutlich.

©Nicole Doth/mirror, mirror on the … throne/Functional Art & Photography

Throne – im Spiegel unserer Zeit
Immer wieder lotet Nicole Doth die Grenzen von Funktionalität in ihren Arbeiten aus, gerade im «Throne» wird dies sichtbar. Wann ist ein Stuhl nicht mehr nur ein Stuhl? Wann wird er zum Insignium von Macht? Ein Stuhl benennt uns eine Funktion, nämlich das Sitzen, ein Thron hingegen zeigt Kontext auf, macht einen Führungsanspruch geltend. Plötzlich entsteht aus einem funktionalen Gegenstand ein Interpretationsraum, den Doth noch weiter ausbaut, indem sie Spiegel als Material ihrer Wahl verwendet.

Das fragile Material positioniert sich automatisch im Raum, denn dort, wo der Thron aufgebaut wird, wird der Kontext reflektiert. Es entsteht dadurch eine interessante Umkehrung, denn ein Thron hebt durch seine Imposanz den Regenten in den Mittelpunkt, während der Spiegelthron bei Doth durch die Spiegelung sich so in den Kontext der Umwelt einfügt, dass er selbst fast schon verschwindet. In einigen Fotografien sind so nur noch die feinen Umrisslinien zu entdecken. Die Serie hinterfragt Macht und Machtansprüche: Wer hat heute noch die Deutungshoheit? Wer maßt es sich an zu bestimmen, wo die Grenzen von Design und Kunst verlaufen? Kann man Kunst demokratisieren? Fragen, denen sich die Künstlerin und Designerin selbst immer wieder stellt und mit ihrem persönlichen Credo «don’t be afraid of art» begegnet.

©Nicole Doth/mirror, mirror on the … bed/Functional Art & Photography

Nicole Doth lotet so die Grenzen von Functional-Art aus, Objekte, die primär vom Gebrauchscharakter aus gestaltet und kreiert werden und gleichzeitig einen eigenen ästhetischen bzw. künstlerischen Aspekt innehaben – Kunst als Teil des Alltagslebens. Zentral ist aber, dass es den Thron nicht ohne das Handwerk dahinter geben könnte. Ihr Thron will nicht theoretisch im Elfenbeinturm sitzen, sondern soll sich im Einsatz beweisen und wechselt deshalb immer wieder die Aufstellorte wie z.B. auf einem Kieswerk. Natürlich liegt dort die Assoziation zwischen dem Thron und der umgangssprachlichen Bezeichnung für Geld nahe, aber es geht auch um Gedanken zu Ressourcen und Verschwendung.

Der Thron erfährt zudem auch eine Übersetzung in das Medium Fotografie, denn an den Aufstellungsorten wird der Thron künstlerisch fotografiert. Der vermeintliche Gebrauchsgegenstand erfährt so eine weitere inhaltliche Ebene. Die Bilder aus der Serie werfen kritische Fragen nach der Verantwortung des Menschen bei seiner Produktion auf. In Zeiten des Klimawandels und der knappen Ressourcen müssen wir uns fragen, welche Prioritäten wir setzen müssen. Der Spiegel als Material der Wahl hält uns den sprichwörtlichen Spiegel vor und lädt uns zu einem sozialkritischen Diskurs ein, ohne uns einfache Antworten vorzugaukeln. Verantwortung zu übernehmen fängt letztendlich bei jedem einzelnen an, so wie unser Spiegelbild im Thron erscheint, sind wir die Entscheidungsträger unseres Lebens, das mit der Welt verbunden ist.

©Nocole Doth/mbox USA 360 grad

Kontextverschiebungen
Die Werke von Nicole Doth verorten sich interessant innerhalb verschiedener Kontexte zwischen Kunst und Design, Handwerk und Formsprache sowie Funktion und Prozess. Sie lotet immer wieder die Grenzen von Funktionalität aus und setzt sich immer weiter mit Materialität auseinander. Es überrascht daher weniger, dass die Objekte immer stärker zu Werkzeugen ihrer Gedanken werden und sie derzeit von der Fotografie als Medium nun auch mit Performance experimentiert und auch das Thema NFT zum Zuge kommt.

Doth wählt dabei eine visuelle Sprache, die den Betrachter mit Harmonie und Ästhetik lockt und anschließend die Konzentration auf bestimmte Themen lenken kann. Es ist ein intelligenter Kniff zu einem direkten Dialog, denn Schönheit hat etwas Entwaffnendes, insbesondere, wenn es um sozialkritische Themen geht, denn sie eröffnet den Raum, sich auf Neues einzulassen, ohne eine ablehnende Haltung zu provozieren, die man mit vermeintlich bekannten Bildern über bestimmte Themen hat. Überhaupt geht Nicole Doth gerne den direkten Weg, während sich andere noch in den Grenzen von Definitionen verlieren, findet sie im Dazwischen neue Antworten für unsere komplizierte Welt.

www.dont-be-afraid-of-art.de

Text: Anabel Roque Rodríguez, Kuratorin und Kunsthistorikerin

Disclaimer:
„Für den oben stehenden Beitrag sowie für das angezeigte Bild- und Tonmaterial ist allein der jeweils angegebene Nutzer verantwortlich. Eine inhaltliche Kontrolle des Beitrags seitens der Seitenbetreiberin erfolgt weder vor noch nach der Veröffentlichung. Die Seitenbetreiberin macht sich den Inhalt insbesondere nicht zu eigen.“