©Jelena Moro

Der Lebensraum, der ihnen heute noch geblieben ist, hat etwa die Größe der Stadt Hamburg. Nicht nur darum ist es ein unvergessliches Privileg, Berggorillas in ihrer Heimat – den tropischen Hochwäldern des Äquatorialafrikas – zu besuchen. Es ist pure Faszination.

©Visit Rwanda

Plötzlich ziehen Nebelschwaden auf. Scheinbar aus dem Nichts bedecken die sanften Schleier die grüne Senke, die uns eine kurze Verschnaufpause auf dem Anstieg in den satt bewaldeten Hängen des Volcanoes-Nationalparks im Nordwesten Ruandas bietet. Leiser Nebel, der mehr berührt als nur die sattgrüne Landschaft. Fast scheint es, als spüren wir sie. Als lade uns der wolkige Dunst in ihre Welt ein. Die Welt der Frau, deren Geist bis heute über all dem hier schwebt. Denn das 13 000 km² große Areal aus reichen, dichten Regen-und Bambuswäldern, offenem Grasland, Sumpf und Heide war die Herzensheimat der amerikanischen Zoologin Dian Fossey, die hier 1963 ankam, um das Verhalten der Berggorillas zu erforschen. Auf ihren Spuren bewegen wir uns durch den wankelmütigen Wettermix aus wolkenverhangenem Himmel, Sonnenschein und immer wiederkehrenden Regenschauern. „Es heißt ja auch Regenwald“, schmunzelt unser Guide Patience Dusabimana, der gänzlich unbeeindruckt ob des perlenden Nass seinen Weg zielgerichtet durch das Dickicht sucht.

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Der Volcanoes-Nationalpark ist Teil einer der wenigen verbliebenen tropischen Bergwälder, der an den Hängen der fünf Virunga-Vulkane – Karisimbi, Bisoke, Sabyinyo, Gahinga und Muhabura – liegt und sich auf die drei Länder Uganda (Mgahinga-Nationalpark), Ruanda (Volcanoes Nationalpark) und die Demokratische Republik Kongo (Virunga Nationalpark) aufteilt. Zugleich ist er die Heimat von knapp zwei Dritteln der verbliebenen Berggorillas, deren Existenz vor allem durch den Menschen bedroht ist. Aber es ist auch der Mensch, der hier für den Erhalt dieser einzigartigen Tierart kämpft.

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Alles andere als ein Spaziergang

Zwei Stunden zuvor. Vorbei an fruchtbarem Farmland, blühenden Kartoffelfeldern, die hier im ruandischen Hochland bestens gedeihen und hartarbeitenden Menschen, die ihr kleines Stück Land bestellen, betreten wir die grüne Lunge des Nationalparks. Das Singen der Frauen auf den Feldern wird abgelöst vom magischen Echo des Urwaldes, in dem sich das Surren von Insekten, die Rufe der Vögel und das Rauschen der Blätter zu einer Melodie vereinen. „Willkommen in meinem Büro“, grinst Patience stolz von einer Backe zur anderen. „Wir lassen nichts hier, wir nehmen nichts mit“, instruiert er uns schlicht. „Wir sprechen nicht laut, denn um uns herum sind Tiere. Auch wenn wir sie nicht sehen.“ In diesem Moment spricht er nicht von den eindrucksvollen Menschenaffen, die wir sehen wollen. Er meint die Büffel, Elefanten, Antilopen, Goldaffen und andere Tiere, die den Nationalpark ihr zu Hause nennen. „Wenn wir die Gorillas erreicht haben, bleiben wir maximal 60 Minuten, damit wir sie nicht allzu sehr stressen.

Wir halten zehn Meter Abstand zu ihnen. Was schwer werden wird, denn die Gorillas wissen davon nichts“, schmunzelt er. Stunden später werden wir verstehen, was daran so lustig ist.

Dann geht es los. Ins Nirgendwo. Denn vor uns türmt sich eine grüne Wand aus verflochtenem, in sich verschlungenem Geäst auf. Woher er weiß, dass da unser Weg liegen soll, bleibt wohl sein Geheimnis. Es scheint, als folge Patience einem inneren Kompass. Das hier ist nicht nur sein Büro. Es ist sein Zuhause, das er mit uns und seinen Kollegen teilt. Neben ihm begleiten uns eine Handvoll Porter, die nicht nur unsere Rucksäcke für einen Obolus den Berg hinauftragen, sondern gefühlt auch manches Mal uns. Einer von ihnen führt die Gruppe an. Eine Machete fest in der Hand, die unerbittlich einen Spalt ins schier undurchdringliche Dickicht schlägt. Mühelos erklimmen sie die begrünten Hänge des Vulkans, die auf einer Höhe von knapp 3.000 Metern ü. M. liegen. Wir versuchen Schritt zu halten, denn das grüne Dicht verschließt sich binnen Sekunden wieder. Was gar nicht so einfach ist, denn der beharrliche Regen hat die Wege in schlammige Flure verwandelt, die den Aufstieg zusätzlich erschweren. Hier und da zieht uns eine Hand uns aus dem Matsch, wenn wir knöcheltief darin eingetaucht sind. Den Hang hoch. So geht es durch den grünen Tunnel, der uns verschlingt und zu einem mentalen Korridor wird. Schneller, höher, näher. Und dann sind wir da.

Das Trommeln des Silberrückens

Irgendwo in diesem Nirgendwo, knapp drei Stunden nachdem wir losgingen, erwarten uns zwei Tracker, Spurensucher. Bereits im Morgengrauen kehrten sie zu den Gorillas zurück. Zurück an die Stelle, wo diese abends zuvor ihre Nester für die Nachtruhe bauten. Von dort aus folgten die Tracker den Spuren der Gorillas und meldeten ihren aktuellen Ort an Patience. Ohne Koordinaten und Navi. Ein System, das harte, aufopferungsvolle Arbeit bedeutet und uns ähnlich mysteriös erscheint, wie der Urwald, der uns umgibt. Aber es funktioniert. Wir legen unsere Rucksäcke ab und folgen Patience noch ein kleines Stück. Und da ist er, der erste Silberrücken der Agashya- Familie – eine der aktuell 13 habituierten und damit an den Menschen gewöhnten Gorillagruppen, die es auf der ruandischen Seite des Nationalparks gibt. Weitere Familien werden ausschließlich von Forschern besucht. Tief im vom Regen tropfenden Blattwerk sitzt der Silverback vergraben. Anscheinend sind wir nicht die Einzigen, die der mittlerweile strömende Regen stört. Einer der Wesenszüge, die uns während dieser heiligen gemeinsamen Stunde zeigen, wie ähnlich wir diesen uns so verwandten Tieren doch sind. Unbeeindruckt von unserer Anwesenheit rupft er Zweige von den Büschen, streift mit seiner kraftvollen Pranke die Blätter ab und kaut sie gemächlich. Ein Prozess, der sich unentwegt wiederholt, schließlich verbringen diese bulligen Vegetarier mehr als 60 Prozent ihrer Tageszeit mit essen. Ein Silberrücken kann bis zu 25 Kilo am Tag verspeisen. Und so stehen wir, beobachten und warten. Denn außer ihm ist kein anderes der insgesamt 21 Tiere dieser Gruppe zu sehen.

Foto: ©Jelena Moro

 

 

Doch plötzlich scheint sich etwas verändert zu haben. Der Silberrücken bewegt sich. Stellt sich auf seine Beine. Der kauernde ruhige Gorilla von eben wird zu einem wuchtigen Riesen, der uns überragt, seine Lippen spitzt, mit einem Pfeifen seine Lungen aufbläst und sich dann mit einem mächtigen Trommeln auf seiner Brust direkt auf uns zubewegt. Zehn Meter Abstand? Jetzt verstehen wir, dass das gar nicht so einfach ist. Dabei geht es ihm nicht darum, uns zu ängstigen. „Er will euch beeindrucken“, erklärt uns Patience, der mit einem tiefen Brummen mit dem Gorilla kommuniziert. „Ich sage ihm, dass wir Freunde sind.“ Auch hinter uns kommt Bewegung auf. Blätter rascheln. Äste knacken. Ab und zu ein Rufen, ein Trommeln – und dann sind sie da. Die gesamte Familie, die den Namen ihres anführenden Silverbacks trägt, der einst in einem epischen Kampf die Gruppe zu seiner machte. Neben fünf Weibchen und einem weiteren Silberrücken gehören weitere subadulte Gorillas, Jungtiere und Kleinkinder zur Familie. Sie alle bieten uns ein einzigartiges Schauspiel. Klettern in den Wipfeln, fressen, spielen, ruhen, putzen sich gegenseitig und befreien sich von Parasiten. Die Kleinsten ahmen das Verhalten der Erwachsenen nach, lernen und schließen Freundschaften. Die sozialen Bindungen in der Gruppe sind stark. Wir scheinen mit der Familie zu verschmelzen. Überall um uns herum sind Gorillas. Längst ist die 10-Meter-Regel in Vergessenheit geraten. Das Staunen groß. Doch die Uhr tickt …

Fotos: ©Jelena Moro

Ortswechsel mit Grenzgang

Ein anderer Tag. Ein anderes Wetter. Ein anderes Land. Uganda. Das gleiche Ziel. Im Bwindi Impenetrable Forest streifen wir erneut durch dichtes Grün auf der Suche nach Berggorillas. Hier lebt das andere verbliebene Drittel der eindrucksvollen Primaten. Wieder ist der Weg schmal und wendig durch den urigen Bewuchs des 331 km² großen Nationalparks, der sich über die Flanken des Albertinen Rifts, des nördlichsten Teils des Ostafrikanischen Grabenbruchs, erstreckt. Wieder ist der Blick einzig auf das Beinpaar des Vordermannes gerichtet, um den Anschluss nicht zu verlieren. Die Luftfeuchtigkeit ist heute hoch, der Weg trotz Trockenheit daher rutschig und steil. Bei so einem Trekking wird einem direkt klar, warum diese Spezies Berggorillas genannt wird. Sie lieben das Leben in der Höhe. Im grünen Herz des Regenwaldes, das ihnen gleichermaßen als Nahrungsquelle, wie auch als Schutz dient. Denn nicht selten ist nur ein Rascheln zu hören, das uns ihre Anwesenheit signalisiert. Der undurchdringliche Bewuchs hüllt die bis zu zwei Meter großen und 180 Kilo schweren Primaten komplett ein. Doch dann greift eine schwarze Hand aus dem dichten Versteck, zieht unerbittlich an einem Ast und lässt diesen blattlos wieder an seinen Ursprung schnellen. Der Beweis, dass sie da sind.

©Jelena Moro

36 Gruppen leben im Bwindi Impenetrable Forest-Nationalpark, 17 davon sind habituiert. In der Mishaya-Familie, die wir besuchen, leben elf von ihnen. Die Gruppe ist am Wachsen. Drei Babys hüpfen übermütig auf den Kronen der Büsche herum, purzeln immer wieder nach unten, werden liebevoll von ihren Müttern aufgefangen und beginnen das Spiel erneut. Ein tollkühnes Verhalten, das nur allzu sehr an menschliche Kleinkinder und ihr Gottvertrauen erinnert. Als es Tinfayo, dem Silberrücken der Familie, der die Gruppe seit dem Unfalltod seines Vaters vor knapp zehn Jahren anführt, zu bunt wird, stößt er ein unwilliges Grummeln aus, dreht sich mürrisch um und verschwindet hinter dem grünen Vorhang. Rasch machen sich die anderen auf ihm zu folgen. Wir ebenso. Denn nur, weil wir die Gruppe nun gefunden haben, scheint das rasante Eintauchen in den Urwald kein Ende genommen zu haben. Wir folgen ihnen. Verlieren sie zwischendurch aus den Augen, während sie uns hin und wieder ein paar Momente gönnen, in denen wir sie sehen dürfen: Bedächtig kauend, sich lausend, grübelnd, ruhend, wobei die ihnen die Kleinsten mit ihren neugierigen Einlagen immer wieder die Show stehlen.

Es ist ein anderer Tag. Eine andere Begegnung, als wir sie im Volcanoes-Nationalpark erleben durften. Und das ist wohl auch die Magie des Moments. Dass man ihn nicht vergleichen oder gar wiederholen kann. Er ist einzigartig. Eindrucksvoll. Unvergesslich – und damit Teil einer Unendlichkeit, die man gerne immer wieder erleben möchte.

Diese Geschichte ist Teil eines Gorilla-Specials in der aktuellen Ausgabe AFRICAN.

 

Fotos: ©Jelena Moro

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